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Kapitel 12: Psychische Auswirkungen der Trauer

Offensichtlicher als die körperlichen Folgen der Trauer sind die psychischen Auswirkungen.

Konzentrationsstörungen

Auffällig ist, dass viele Trauernde unter Konzentrationsstörungen leiden. Selbst wenn sie sich wirklich darauf konzentrieren, was sie machen oder was ihnen gesagt wird, kann es sein, dass sie fünf Minuten später nicht mehr wissen, was sie tun oder was gesagt wurde. Das Gehirn scheint wie leergefegt zu sein. Hat man sich in den Monaten vor dem Tod des geliebten Angehörigen vielleicht noch eine riesige Palette an komplizierten Medikamentennamen gemerkt und den Alltag mit einem schwer kranken Menschen organisiert, kommt man sich plötzlich völlig verloren vor, unfähig, selbst kleinste Tätigkeiten ordentlich  zu verrichten. Ich hatte zum Beispiel riesige Probleme damit, etwas zu lesen oder mir etwas im Fernsehen oder im Internet anzusehen. Wenn ich mir einen Film anschauen wollte, gelang mir das vielleicht zehn Minuten. Dann war meine Konzentration weg und ich wusste nicht mehr, was in dem Film passiert war, geschweige denn, wovon er handelt. Ganz schön frustrierend! Ebenso ging es mir beim Lesen. Früher war ich ein großer Fan von Sachbüchern und so kam es schon einmal vor, dass ich ein ganzes Buch auf einmal verschlang. In der Trauer war es aber so, dass ich eine Seite oft drei Mal lesen musste, um überhaupt zu wissen, was darauf stand und so gab ich rasch entnervt das Lesen auf.
(Danke an dieser Stelle für die gesammelten Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen auf Romance TV! Durch diese zugegebenermaßen seichte Unterhaltung fand ich wieder zurück zu Konzentrationsspannen von mehr als 10 Minuten und auch wenn ich mich dafür manchmal schämte – heute bin ich offiziell froh, dass es diese Art der Unterhaltung gibt!)
Manchmal hab ich mich auch wie in einem Nebel gefühlt, ich wollte im Gespräch anderen zuhören, aber die Worte sind gar nicht zu mir durchgedrungen. Ich hab mich dabei oft sehr schlecht gefühlt, denn ich wollte dem Gegenüber ja zuhören und hab mich selbst als unhöflich empfunden. Kennen Sie Kreislaufprobleme? Wenn ja -so ungefähr hat sich das angefühlt – schwindelig und nicht bei der Sache.

Trauerdemenz

Eng verwandt mit den Konzentrationsstörungen ist auch die sog. Trauerdemenz, oft auch als Witwendemenz bezeichnet. Es kann vorkommen, dass man Dinge, die man sein ganzes Leben lang selbstverständlich und immer parat hatte, plötzlich wie aus dem Gedächtnis verschwunden sind. Tätigkeiten, die man aus dem FF beherrschte, können nicht mehr gemacht werden, weil man sich nicht mehr erinnert, wie sie funktionieren. Das kann sehr frustrierend sein, vor allem, wenn man sich endlich einmal wieder überwunden hat, ein altes Hobby aufzugreifen und einem dann simpelste Handgriffe oder einst vorhandenes Wissen nicht mehr einfallen und man wie ein völliger Anfänger da steht und sich alles von vorne noch einmal logisch überlegen muss. Ein schönes Beispiel aus meinem eigenen Leben ist der Rubic´s Cube, auch Zauberwürfel genannt. Ich habe ihn als Kind mit Hilfe meines Vaters erlernt und war seither immer in der Lage, ihn zu lösen, v.a. auch durch ein paar Schritte, die ich mir über die Jahre automatisiert gemerkt habe, die also inzwischen eher meine Hände wussten, als der Kopf. Ich konnte den Zauberwürfel und die Logik dahinter so gut, dass ich das Wissen sogar an meine Schüler weitergab. Plötzlich aber war dieses Wissen weg. Ich brachte mit Müh und Not noch eine Seite des Würfels zusammen und der Rest war ein Gallisches Dorf. Ich war schockiert darüber, dass ich etwas Selbstverständliches, das mir Spaß machte und mir zuvor manches Lob eingebracht hatte, plötzlich nicht mehr konnte. So muss es Menschen gehen, die an Demenz leiden! (Gut ein Jahr nach dem Tod meines Mannes entwickelte ich zum Glück den Ehrgeiz, den Würfel wieder zusammendrehen können zu wollen und so hab ich ihn neu gelernt. Zwar bekomm ich ihn nicht mehr innerhalb von drei Minuten hin, wie früher, aber immerhin bleibt meine Zeit unter zehn Minuten!)

Desinteresse an der Welt

Viele Trauernde haben mir auch erzählt, dass ein großes Problem in der Trauerzeit aus dem Desinteresse an quasi allem bestand. Es ist für Menschen schwer vorstellbar, dass sich ein Mensch für wirklich absolut nichts mehr interessiert, das er früher gerne mochte. Alte Hobbys werden aufgegeben, das Geschehen im engeren Umfeld oder in der Welt ist plötzlich völlig irrelevant. Wo gestern noch heftig über Politik, Umweltverschmutzung, Klimawandel und Tierleid diskutiert wurde, wo gemeinsam Yoga gemacht oder Karten gespielt und gesungen wurde, ist über Nacht ein großes Nichts gewachsen, das dem Schrecken der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende gleicht.
Im ersten Trauerjahr hab ich verzweifelt versucht, an früheren Tätigkeiten wie dem Schreiben von Songs wieder Freude zu finden, ich hab mich in mein Tonstudio gesetzt und versucht, Musik zu machen, doch die Inspiration war wie weggeblasen, in mir war eine schier unendliche Leere und deshalb kam auch nichts aus mir heraus. Das war ziemlich frustrierend für mich, denn solange ich denken konnte, habe ich meinen Frust gut in Musik umwandeln können, die zum Teil sogar ziemlich erfolgreich wurde. Ich hab mir selbst Vorwürfe gemacht, weil ich  die Trauer nicht in Musik verarbeiten konnte, mich wie gelähmt fühlte, sobald ich im Studio war und einfach keinen klaren Gedanken finden konnte. Aber nicht nur die Musik in mir war erloschen, auch andere Tätigkeiten, wie z.B. das Nähen oder Stricken, das mir so manchen Herbstabend versüßt hatte, interessierten mich ganz und gar nicht. Ich schämte mich, ein Mensch ohne Interessen zu sein und verspürte eine große Wertlosigkeit.

Sinnverlust

Mit dem einher geht auch der Verlust des Sinnes des Lebens. Es entsteht im Inneren ein Gefühl, als wäre alles, was man tut oder sagt, völlig sinnlos. Man kann sich nicht vorstellen, dass es irgendetwas geben könnte, das einen aus diesem Loch herausholt. Diese Sinnlosigkeit kennt man sonst nur von schwer Depressiven und es ist gut, wenn sie von einem geschulten Psychotherapeuten begleitet wird, da sonst zur Sinnlosigkeit auch noch oft die Scham und damit ein Sich-selbst-Schuld-an-allem geben dazu kommt. Der große Unterschied zu schwer Depressiven ist in meinen Augen allerdings, dass diese Sinnlosigkeit nicht intrinsisch ist, also von innen kommt, sondern ganz klar durch ein Trauma von außen entstanden ist und so ist es möglich, über einen gewissen Zeitraum, wieder einen Sinn im Leben zu finden, auch, wenn das Jahre dauern mag.

Scham

Viele Trauernde haben mit Scham und Selbstvorwürfen zu kämpfen. Sie wünschen sich doch nichts so sehr, wie ein normales Leben. Nur ist das Leben in so einer Lebensphase nicht normal. Man schaut sich in den Spiegel und denkt „Man sieht doch nichts!“ und doch sind oft ganz normale Dinge nicht möglich. Warum schaffe ich es nicht, mir Essen zu kochen? Warum schaffe ich es nicht, mich abzulenken? Warum finde ich in nichts Freude? Warum kann ich für nichts dankbar sein? Warum kann ich Hilfe von außen so schlecht annehmen? Je länger diese Trauerphase dauert – und sie dauert oft weit über ein Jahr – desto mehr wächst die Scham, die man verspürt. So gibt man vielleicht nach außen oft die Toughe, die Starke, nur, um ein wenig später zum Weinen nach Hause zu gehen. Scham ist nämlich ein Gefühl, über das man in unserer Gesellschaft nicht spricht, dabei kommt sie so oft vor! Ich denke da nur an die vielen Lebensratgeber, die es inzwischen nicht nur in Buchforn, sondern auch auf YouTube oder sogar auf Instagram gibt und zu denen man ständig über das Internet Zugang hat. Die Ratgeber gaukeln einem vor, dass man nur dies oder das machen müsse und schon könne man glücklich sein. Ganz übel erscheinen mir an dieser Stelle die „Positiv denken“ Ratgeber. Gerade das ständige Nachdenken darüber, wie man denn glücklich werden könnte, kann einem Trauernden oder auch Depressiven wie ein zentnerschwerer Stein auf den Schultern lasten, denn man fühlt sich danach noch schlechter, wenn es einem nicht gelingen will, wenigstens ein bisschen glücklich oder dankbar zu sein.

Mit Schamgefühlen habe ich aber auch im Alltag oft gekämpft, denn in unserer perfektionistischen Welt wird es nicht gerne gesehen, wenn Menschen über Monate, vielleicht Jahre zu schwach sind, ein „normales“ Leben zu führen, wenn sie vielleicht nicht arbeitsfähig sind, nicht in der Lage, sich gut um die Kinder oder die Haustiere zu kümmern, nicht einmal in der Lage, alltägliche Kleinigkeiten zu erledigen. Und nicht nur das! Vielfach ist es gar nicht so, dass uns die Anderen ausgrenzen. Wir alle haben bestimmte Verhaltensregeln gelernt und wir schaffen es oft ganz wunderbar, uns selbst zu disziplinieren und unserem kleinen Ich wie ein Oberlehrer von oben herab zu kommen und uns zu bevormunden. Es ist mir ein großes Anliegen, die Scham anzusprechen, denn mit Sagern wie „Du bist ja so stark“, „Kopf hoch“ oder „Toll wie du das schaffst“ wächst der Druck auf den Trauernden enorm. Manche trauen sich danach gar nicht mehr, ihre wahren Gefühle zu zeigen und verstecken ihre Scham. Hilfreich wäre es, wenn Angehörige dem Trauernden sagen würden „Schön, dass es dir jetzt gerade besser geht, aber wenn wieder schlechtere Zeiten kommen, bin ich für dich da!“.
Ich möchte an dieser Stelle eine liebe Kollegin aus der Selbsthilfegruppe zitieren, die inzwischen auch eine Freundin geworden ist: „Es ist Scheiße und es darf auch Scheiße sein!“.

„Tu dir etwas Gutes“

Besonders oft habe ich den Ratschlag von Freunden gehört, ich solle doch auf mich schauen und mir etwas Gutes tun. Als Trauernde bin ich nur ratlos dagesessen und hab solche Floskeln über mich ergehen lassen. Unfähig, mich auch nur um so simple Dinge wie essen oder gar meinen Hund zu kümmern, hat es mich in tiefe Depressionen gestürzt. Auch dafür, mich zu verteidigen, hatte ich keine Kraft. Nichts ist gut! Wie soll ich mir also etwas Gutes tun? Was soll schon „gut“ heißen, wenn ich „gut“ gar nicht spüren kann?

„Aber du hast doch früher so gern….“ – ja: FRÜHER! Ich weiß, es ist für viele Menschen unvorstellbar, dass die Lust auf wirklich alles völlig verschwinden kann, dass man sich und seinem Körper nichts Gutes tun kann und auch gar keine Kraft hat, sich in irgendeiner Richtung anzustrengen. So hab ich mich die ersten Monate vorwiegend von Zigaretten und Alkohol ernährt, und wenn ich zittrig war, durfte es auch schon mal eine Leberkässemmel sein. Früher hatte ich Freude an gesunder Ernährung und einem gesunden Lebensstil, als mein Mann noch lebte, hab ich alles getan, damit er sich so gesund wie möglich ernährt, um möglichst lang fit zu bleiben und damit hab auch ich mich gesund ernährt. In der Zeit der Trauer war mir alles egal: Mein Leben, mein Körper, meine Gesundheit. Ich habe Tag für Tag und Stunde für Stunde einfach nur versucht, zu ÜBERleben. Oft ging ich über die Straße, ohne auch nur einmal links oder rechts zu schauen. Schlechter konnte es ja eh nicht mehr werden.

Was mir sehr geholfen hat, war, wenn Freunde vorbei kamen und mir simple Sachen wie eine Hühnersuppe gebracht oder gemeinsam mit mir gekocht haben. Normales Essen war wirklich ein Fremdwort für mich. Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich zum ersten Mal wieder Freude empfinden konnte. Ich weiß noch genau, wann das war. Ich war mit einer anderen Witwe und Freundin aus der Selbsthilfegruppe auf einem Konzert und die Band – La Brass Banda – war  so mitreißend, dass ich tatsächlich für 2 Stunden all meinen Kummer vergaß. Erst danach, als die übliche Schwere und der Stein in meiner Brust wieder spürbar waren, hab ich verstanden: Das war Freude! Ich hatte fast schon vergessen, wie sich das anfühlt.

Selbst über meinen süßen Hund konnte ich mich nicht freuen. Mona, eine rumänische Mischlings-Dame und ehemaliger Straßenhund war der guter Geist unserer kleinen Familie. Mein Mann und ich hatten sie nach der verheerenden Diagnose meines Mannes geholt und sie hat uns immer viel Freude bereitet mit ihrer gut gelaunten Art, ihrem verkuschelten und verspielten Wesen und ihrem entzückenden Gehabe, das dem einer kleinen Schauspielerin gleicht, die versucht, das Publikum für Leckerlis zu verzaubern.

Nach dem Tod meines Mannes war aber auch diese Freude vollkommen verschwunden. Mit leerem Gefühl hab ich Mona gefüttert, sie mechanisch gestreichelt und bin nur selten mit ihr hinaus gegangen. Ich konnte nichts fühlen von dem, was ich früher gefühlt habe. Sie sah mich an mit ihren großen Kulleraugen, spielte den Kasperl für mich, tanzte herum, machte Kunststücke, aber ich konnte nichts fühlen. Wirklich nichts. Mona war in dieser Zeit kein Quell der Freude, sondern eine zusätzliche Belastung geworden, die mich zwang, vor die Tür zu gehen, auch wenn ich keine Kraft hatte und die Überwindung, etwas zu tun für sie, war enorm.

Ich probierte es wirklich, mir Gutes zu tun! Ich setzte mich ins Studio, um Musik zu machen, ich ging laufen, ich machte Sport, ich spielte mit Freunden Gesellschaftsspiele, ich ging abends zum Tanzen. Aber die Wahrheit ist: nichts von alldem bereitete mir auch nur irgendeine Freude!

Nur meine Psychotherapeutin schaffte es, mich ein wenig rauszuholen aus diesem Loch, diesem Frust, diesen Selbstvorwürfen, indem sie mich darauf aufmerksam machte, dass ich doch eigentlich viele gute Dinge sowieso für mich machen würde. Ich wusch mich, ich cremte mich ein, ich zog mich Tag für Tag an und – egal wie ungesund es war und wie sehr ich mich dazu zwingen musste – ich aß auch jeden Tag.
Die Trauer gleicht in gewissen Bereichen einer schweren Depression, mit dem einen, aber ganz wichtigen Unterschied, dass Depressionen aus dem Inneren einer Person stammen und die Trauer zwar das Innerste eines Menschen berührt, aber nicht von dort abstammt.

Als ich das verstanden hatte, hab ich aufgehört, im Inneren nach Lösungen zu suchen und mich ganz auf das Außen konzentriert. Und im Außen gab es jede Menge Probleme.

Die Einsamkeit

Einsamkeit ist ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Einsamkeit – das betrifft doch höchstens alte Leute oder psychisch Gestörte. Einsamkeit – das kann doch nicht mich als jungen, dynamischen und weltoffenen Menschen betreffen!
Tja, ich musste es anders erfahren und ich kenne viele Geschichten, die ähnlich wie meine sind. Eigentlich würde man sich denken, dass ein Trauernder nicht alleine ist, dass die Familie einem beisteht und dass Freunde da sind und helfen. Die Wahrheit ist in vielen Fällen eine andere. Selbst gute Freunde ziehen sich zurück, die Familie versucht oft auf eine ungeschickte Art zu helfen (meist mit „guten Ratschlägen“, statt mit konkreter Hilfe) und zieht sich nach Scheitern auch zurück. Ich kenne wirklich viele Witwen und Witwer, die in dieser Zeit Menschen, von denen sie geglaubt haben, sie könnten sich in schwierigen Zeiten auf sie verlassen, verloren haben. Oft glaubt die Familie, man müsse doch nach einer gewissen Zeit, und damit meinen sie Wochen oder Monate, wieder normal funktionieren. Das Verständnis für die Länge der Trauer kann oft nicht nachvollzogen werden.

Ich habe in dieser Zeit gemerkt, wie alles um mich zerbröckelt und schließlich zusammenbricht. In Wahrheit ist mir eine Freundin geblieben und mein Vater, der mich zumindest aus der Ferne auf seine Art zu unterstützen versucht hat. Niemand aus meiner Familie hat mich im Trauerjahr auch nur besucht (und nein, sie wohnen nicht am anderen Ende der Welt, sondern sogar im selben Land!). Meine ehemals beste Freundin war in den ersten beiden Wochen nach dem Tod meines Mannes für mich da und danach plötzlich schwer erreichbar. Ich hab sie im folgenden Jahr nur noch vier Mal gesehen. Mir zerbrach das Herz. Ich hab nicht verstanden, warum die Menschen, die mir am wichtigsten sind, gerade jetzt nicht für mich da sind. Es gab Tage, da hat kein Mensch mir mir gesprochen. Manchmal waren es sogar mehrere Tage hintereinander. Ich habe geglaubt, ich muss verrückt werden. Da gerade die letzte Zeit mit meinem Mann besonders intensiv war und unser Kontakt zueinander eng wie nie, war das wie ein riesiges schwarzes Loch, das mich einsog und mich nie wieder herauslassen wollte. Ich hab lang gebraucht, um mich von diesen Menschen zu distanzieren und mir einzugestehen, dass ich auf die falschen Menschen gebaut habe und dass ich mir neue suchen muss. So hab ich mir im Sommer 2019 das Ziel gesetzt, bis Jahresende neue Freunde gefunden zu haben. Ich ging also aus, was das Zeug hielt, meldete mich auf Freundschafts-Such-Seiten im Internet an, sogar Tinder benutzte ich, um einfach nur neue Kontakte zu bekommen. Ich muss gestehen, das war eine wirklich anstrengende Zeit, denn neue Freunde findet man nicht so einfach.

Mit der Zeit stellte ich allerdings fest, dass mir die neuen Kontakte extrem gut taten. Diese neuen Menschen nahmen mich nämlich auch ganz alleine als vollständig wahr. Freunde von früher kannten mich ja nur in Kombination mit meinem Mann und da wir auch zusammen als Musikerehepaar arbeiteten, gab es uns in den Köpfen vieler Menschen rund um uns nur zusammen als Einheit. Diese Menschen gaben mir oft unbewusst das Gefühl, ich sei irgendwie halb. Sie gaben mir das Gefühl, als sei ich alleine nicht vollständig. Ich mache diesen Menschen keinen Vorwurf, denn auch sie hatten selbstverständlich ihre Art der Trauer und auch für sie war es ein Verlust.

Ich wollte aber nicht als unvollständig, als halb wahrgenommen werden. Tja, und die neuen Bekanntschaften kannten mich nicht als Duo. Die kannten mich nur alleine und natürlich vermissten sie auch meinen Mann nicht an meiner Seite. Das hat mir sehr gut getan. Langsam entwickelte ich wieder Selbstvertrauen und begann, mich selbst als vollständig wahrzunehmen.