Kapitel 11: Körperliche Symptome der Trauer – wenn Schlafen und Essen nicht mehr funktionieren
Trauer wird in der Öffentlichkeit oft als rein psychisches Erleben dargestellt und sehr wenige Menschen wissen darüber Bescheid, dass Trauer auch zu körperlichen Symptomen, die manchmal gravierend sein können, führen kann und es in vielen Fällen auch tut. Eine Begleitung durch einen einfühlsamen Arzt ist deshalb in meinen Augen immer zu empfehlen, auch wenn Trauer keine Erkrankung ist. Dieses Kapitel habe ich etwas allgemeiner gehalten, da ich nicht alle Symptome hatte, aber trotzdem darüber sprechen will, was sich bei Trauernden auf der körperlichen Ebene so abspielen kann.
Schlafprobleme
Viele Trauernde berichten von Schlafproblemen. Bei manchen ist das Einschlafen ein riesiges Problem, das nur bei völliger Erschöpfung ohne Hilfe funktioniert, viele Trauernde haben aber auch Durchschlafprobleme. Ich selbst habe es so erlebt, dass ich zwar gut einschlafen konnte, aber nach drei Stunden plötzlich hellwach war und keinen Schlaf mehr finden konnte – und das über Monate!
Kein Wunder, dass Trauernde oft so müde sind. Es ist aber keine normale Müdigkeit, sondern reicht von völliger Erschöpfung über chronische Fatigue-Symptome bis hin zu einer geistigen Müdigkeit, die einen abhält, sich dem Leben wieder zuzuwenden. Alles wird schnell zur Überlastung, man ist nervlich ständig gereizt und übellaunig und man kommt sehr rasch an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Für den Trauernden ist es daher sehr wichtig, dass die Umgebung darauf Rücksicht nimmt. Ich selbst habe gute Erfahrungen gemacht, mit dem Thema ganz offen umzugehen, denn gerade im Beruf kann das ein riesiges Problem darstellen, vor allem deshalb, weil diese Probleme ja nicht nach ein paar Wochen wieder vorbei sind wie bei einer Grippe. Hier ist es hilfreich, wenn der Arzt Schlafmittel verschreibt, zumindest für einen gewissen Zeitraum, denn für das ohnehin angeschlagene Nervenkostüm ist es nicht besonders hilfreich, wenn auch noch Schlafmangel dazukommt. Bei manchen Trauernden reichen pflanzliche Mittel, wie Melisse, Hopfen, Baldrian etc., bei anderen muss der Arzt schon zu stärkeren Mitteln greifen. Ich empfehle auch hier unbedingt den Gang zum Arzt.
Abgesehen davon sind die nächtlichen Stunden, in denen man wach ist, oft eine riesige Belastung für die Psyche, denn dazu kommt ein großes Gefühl der Einsamkeit. Man kann ja nicht Tag für Tag um drei in der Früh jemanden anrufen oder treffen – selbst wenn gute Freunde natürlich auch in der Nacht für einen da sind. Aber eben nicht jede Nacht. Selbst wenn man über das Internet gut mit anderen Menschen verbunden ist, stellt man rasch fest: alle schlafen um diese Zeit! Diese nächtlichen Stunden scheinen endlos lang zu sein und einen zu erdrücken und man verliert sich in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
Angehörigen kann ich empfehlen, ab und zu beim Trauernden zu übernachten, auch wenn man weiß, dass man dann wohl selbst auch nicht schlafen kann in dieser Nacht. Das Gefühl, nicht völlig einsam und alleine zu sein, kann auf diese Art genommen werden und das hilft manchem Trauernden enorm. (Aber bitte wie immer zuvor fragen, ob das auch erwünscht ist!)
Chronische Müdigkeit
Das Thema Müdigkeit möchte ich noch einmal extra erwähnen, denn die Müdigkeit, die Trauernde erleben, ist keine normale Müdigkeit. Sie wird im Fachbegriff Fatigue genannt und ist eigentlich eher eine völlige Erschöpfung. Der amerikanische Arzt und Forscher David Cella beschreibt Fatigue sehr treffend als „eine außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven oder ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig zu vorausgegangenen Aktivitätsänderungen ist.“ (Quelle: DocCheck Flexikon) Fatigue ist somit eine krankhafte Erschöpfung, die sich nicht durch normale Erholungsmechanismen beheben oder den Betroffen durch Schlaf effektiv regenerieren lässt. Selbst wenn man es geschafft hat, mithilfe eines Arztes die Schlafprobleme in den Griff zu bekommen, fühlt man sich am nächsten Morgen oft wie gerädert, wird nicht richtig wach und kommt in der Früh nicht aus dem Bett, auch wenn man in der Zeit vor der Trauer ein regelrechter Morgenmensch war. Wie soll man da nur arbeiten und funktionieren? Wie soll man sich da um die Kinder kümmern? Jeder Tag scheint wie eine riesige Herausforderung zu sein, von der man glaubt, sie nicht bewältigen zu können.
Probleme mit dem Essen / Appetitlosigkeit
Ein Problem, über das mir viele Trauernde auch erzählt haben, ist, dass normales Essen nicht funktioniert. Oft fehlt der Appetit völlig und man isst erst, wenn man schwächlich ist und zu zittern beginnt. Bei mir selbst war es so, dass ich das Gefühl hatte, jedes Essen würde nach Pappe schmecken. Ich konnte zwar den Geschmack einwandfrei wahrnehmen, allerdings hätte mir kein Geschmack der Welt irgendeine Freude bereiten können und so wurde das Essen zur Qual und ich verlor an Gewicht. Dazu kam, dass ich es überhaupt nicht gewöhnt war, alleine zu essen und so war es doppelt schwierig, mich zum Essen zu zwingen. Und selbst wenn ich es geschafft hatte, eine angemessene Menge an Kalorien zu mir zu nehmen, führte das nicht dazu, dass ich wieder an Gewicht zulegte, sondern das Gewicht stagnierte maximal auf seinem niedrigen Niveau.
Seltener kommt es auch vor, dass Witwen beginnen, ständig zu essen, ebenfalls unfähig, sich am Essen zu erfreuen. Essprobleme sind relativ häufig in der Trauerzeit.
Beklemmungen
Auch ein Beklemmungsgefühl in der Brust, Kurzatmigkeit bis hin zur Panikattacke sind gerade in den ersten Monaten sehr häufig. Es fühlt sich an, als haben man einen großen Stein in der Brust, der nach allen Seiten hin drückt und der einem die Luft zum Atmen nimmt. Ich selbst hatte oft das Gefühl, mein Herz würde eine Tonne wiegen und auch meinen Weg zum Magen versperren, was meinen Hunger zusätzlich dämpfte. Das Problem dabei ist, dass diese Symptome nicht ab und zu kommen, sondern in jeder wachen Minute präsent sind und einen im Alltag schwer behindern. Hier können autogenes Training oder Psycho-Kinesiologie helfen, vor allem, um aus Panikattacken wieder heraus zu kommen. Bei mir haben die Beklemmungen mehr als ein Jahr angehalten, es braucht also viel Geduld, damit umzugehen. Mir hat auch eine personenzentrierte Psychotherapie geholfen, mit diesem Problem umzugehen. Sowohl Psychologen als auch Ärzte haben mir erzählt, dass es nichts Unbekanntes ist, dass sich Trauer „auf die Lunge schlägt“. Auch in medizinischen Büchern aus der Traditinellen Chinesischen Medizin wurde ich fündig. Ich möchte also auch hier wieder betonen, dass einem ein geschulter und einfühlsamer Arzt oder Therapeut helfen kann, das Problem zu verstehen und damit besser umgehen zu können.
Broken-Heart-Syndrom (Gebrochenes-Herz-Syndrom)
Tatsächlich ist es so, dass Trauernde besonders in den ersten Monaten Anzeichen eines Herzinfarkts zeigen, wie etwa Schmerzen in der Brust, besonders hohe Blutwerte von Stresshormonen, insbesondere Adrenalin und Noradrenalin oder erhöhten Herzschlag. Dies ist eine weitere Auswirkung der Trauer auf den Körper. Durch die Symptome kann der Herzmuskel geschwächt werden und in seltenen Fällen sogar zum Tod führen. Besonders in solchen Fällen ist ein guter Arzt zu Rate zu ziehen, der um das Broken-Heart-Syndrom Bescheid weiß und die richtigen Konsequenzen ziehen kann, denn dies ist die gefährlichste körperliche Auswirkung von Trauer auf den Körper. Unter der richtigen Behandlung bilden sich die Symptome meist innerhalb von wenigen Wochen zurück und auch das EKG normalisiert sich.
Nervenprobleme / unerklärliche Schmerzen
Durch den chronischen Stress, den Trauer auslöst, können die Nerven sprichwörtlich blank liegen. Die schützende Myelinschicht um die Nerven baut sich ab. Man ist extrem dünnhäutig, hat oft unerklärliche Schmerzen, für die auch der Arzt keine Ursache findet, beginnt rasch zu weinen oder wird auch äußerst schnell aggressiv. Für Angehörige ist es oft schwierig, mit derart launischen Menschen umzugehen, man sollte sich aber bewusst sein, dass der Trauernde nicht absichtlich aggressiv oder überempfindlich ist, sondern dass er durch sein geschwächtes Nervenkostüm nicht anders kann. Manchmal können hier hohe Gaben von Vitamin B oder andere Nervenpräparate helfen, die Nerven wieder zu stabilisieren.
Mangelerscheinungen
Durch das unregelmäßige oder verminderte Essen kann es dazu kommen, dass im Körper Mangelerscheinungen auftreten. Ein regelmäßiges Blutbild zu machen, kann hilfreich sein, etwaige Mängel früh zu erkennen und zu supplementieren. Ich selbst hab es nicht geschafft, in den ersten Monaten zum Arzt zu gehen – zu groß saß mir der Diagnoseschock noch in den Gliedern. Das führte dazu, dass ich einen massiven Vitamin-B-12-Mangel erlitt mit starken Schmerzen in der Zunge und extrem geschwächten Nerven. Mein Arzt hat mir bestätigt, dass chronischer Stress sehr oft einen Vitamin-B-12-Mangel auslöst und dass man das unbedingt künstlich zuführen muss. Eine monatelange Therapie folgte, bis die Zunge endlich besser wurde und ich auch nicht mehr hypersensibel auf Nervengifte wie etwa Kaffee reagierte.
Verdauungsprobleme
Der chronische Stress, den Trauer auslöst, kann zu schweren Verdauungsproblemen führen. Von wasserartigen Durchfällen bis hin zu einem dauerhaft nervösen Magen reicht die Palette. Ob die oft Vorkommende Fehlernährung die Ursache oder die Folge von diesen Verdauungsproblemen ist, kann oft nicht geklärt werden. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass Angehörige darüber Bescheid wissen und darauf schauen, dass der Trauernde regelmäßig und halbwegs vernünftig isst.
Muskelschwäche
Sehr viele Trauernde haben mir auch erzählt, dass ihre Muskeln nicht mehr die Kraft hätten, die sie zuvor hatten. Hat man während der Pflegephase des Angehörigen diesen durch die Gegend getragen, die Pflege erledigt und Kraft für zwei gehabt, scheint diese Kraft nach dem Tod wie weggezaubert. Selbst spazieren gehen wird als Anstrengung empfunden, oft muss sich der Trauernde selbst nach kleineren Tätigkeiten ausruhen. Diese Muskelschwäche wird besonders im Beruf oft als belastend erlebt, da man sich durch die Arbeit ja gerne ablenken möchte, einem dies aber nicht gelingt und auch hier die Grenzen schnell aufgezeigt werden.
Probleme mit dem Immunsystem
Chronischer Stress beeinflusst bekanntlich das Immunsystem sehr stark. Wenn also Trauernde ständig erkältet, verschnupft und beinahe schon chronisch kränkelnd sind, ist das kein Wunder. Auch hier helfen alle Methoden, die den Stress abbauen, von Shiatsu über Psychokinesiologie bis hin zum Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder auch Yoga oder Qi Gong. Auch wenn ich anfangs die Hilfe dieser stressabbauenden Methoden nicht wirklich spüren oder erfassen konnte, haben sie mir im Endeffekt geholfen, wenn auch erst über eine gewisse Dauer.