Kapitel 14: Mein persönliches Fazit aus der Trauer
Das Leben ist nie nur eindimensional und so ist auch mein Fazit aus der Trauer. Ich habe durch den Tod meines Mannes wahnsinnig viel gelernt, musste mich Problemen stellen, die wir davor gemeinsam lösten oder die zusammen mit ihm gar nicht sichtbar waren, wie etwa mein tiefes, ungelöstes Problem mit der Einsamkeit. Ich bin durch tiefe Täler gewandert und hab mich selbst völlig verloren. Ich habe gelernt, dass ich nichts in meinem Leben unter Kontrolle habe und das ist in meinen Augen einerseits das Schlimmste, was einem passieren kann und gleichzeitig das Beste. Denn gerade in diesen dunklen Phasen der Trauer habe ich das Urvertrauen in das Leben entdeckt. Ich habe verstanden, dass es etwas gibt, das sehr viel größer ist als ich oder wir. Dass das Leben immer wieder Chancen bereitstellt und auch wenn wir an ganz vielen davon vorbei gehen, hört das Leben nicht damit auf, einem diese Chancen zu bieten. Und irgendwann greift man dann einfach zu. Und damit beginnt vielleicht ein neuer Lebensabschnitt.
Durch den Tod meines Mannes bin ich dem Leben sehr viel näher gerückt. Ich mache das, was in so vielen großen Religionen und Philosophien angestrebt wird: ich lebe im JETZT.
So lange Zeit habe ich mich völlig verloren gefühlt, hatte keine Zukunft und war mir bewusst, dass meine Vergangenheit endgültig vorbei war. Ich hatte geträumt, dass mein Leben vorbei wäre, wachte auf mit einem Bild von mir als alte Frau. Nacht für Nacht für Nacht bin ich zig Mal aufgewacht und hab mir eingebildet, ich hätte die Hände einer 100-Jährigen und mein Leben sei bald zu Ende. Ich war mir sicher, mein Leben hätte keinen Sinn mehr. Ich war mir sicher, ich müsste selbst nur noch auf den Tod warten, um mein Leiden endlich zu beenden. Ich war mir sicher, dass da nichts Großes mehr kommen kann in diesem Leben. Ich bin mit ihm gestorben und durch seinen Tod wiedergeboren. Doch das war mir sehr lange Zeit nicht klar.
Heute nach mehr als zwei (Anm.: inzwischen vier!) Jahren sehe ich natürlich viele Dinge anders. In Wahrheit war es die strengste Schule, die man durchlaufen kann, aber – hey – ich hab sie absolviert!
Ich habe gelernt, dass mich nichts so schnell umhauen kann und dass ich es ganz alleine wieder auf die Füße schaffe. Ich habe alles verloren und trotzdem überlebt. Ich hab gelernt, in mich selbst und das Leben zu vertrauen und ich habe daher heute eine Leichtigkeit, die ich nie im Leben zuvor gespürt habe und die ich ohne den Tod meines Mannes wohl nie erfahren hätte.
Ich habe außerdem Menschen kennen gelernt, die ich unter „normalen“ Umständen nie kennen gelernt hätte, wie etwa die anderen jungen Witwen und Witwer, mit denen mich heute nicht nur die Selbsthilfegruppe verbindet, sondern mit denen zum Teil tiefe Freundschaften gewachsen sind. Auch tut es mir heute nicht mehr weh, dass sich Menschen in der Zeit des Leides von mir verabschiedet haben und gegangen sind. Es hat mir ein riesiges Loch ins Herz gerissen, von meiner Familie (mit Ausnahme meines Vaters) nicht aufgefangen zu werden und dort nur Unverständnis zu ernten. Es war der absolute Supergau, dass sich gerade in dieser Situation dann auch noch einige zuvor enge Freunde verabschiedet haben. Niemandem wünsche ich, was ich da durchgemacht habe und dennoch bin ich heute dankbar dafür. Geblieben sind nämlich Freunde, auf die ich mich jederzeit verlassen kann und die sich auch auf mich 100%ig verlassen können. Freunde fürs Leben. Freunde, mit denen ich eine so tiefe Verbindung habe, dass nichts und niemand diese Verbindung stören könnte. Freunde, mit denen ich verbunden bin, auch wenn ich sie mal nicht sehe oder auch, wenn wir eine Zeit lang keinen Kontakt haben.
Das hat in mir ein Gefühl wachsen lassen, das ich zuvor nie kannte: nämlich das Aufgehoben sein, das Zuhause sein, das Gefühl, völlig richtig zu sein, wie man ist ohne wenn und aber. Es hat mir ein Selbstverständnis und Selbstvertrauen gegeben, das ich niemals zuvor hatte.
Und dieses neue Selbstvertrauen wirkt sich natürlich auch in anderen Bereichen meines Lebens aus. Ich stelle ein neues Selbstverständnis in der Arbeit fest. Wo ich mich früher klein machte, gehe ich heute selbstsicher hinein. Ich verhandle gut und fair und stelle fest, dass ich genau so gemocht werde, wie ich bin und dass man mein Können besser schätzt, weil ich es auch zeige.
Auch in meiner neuen Wohnung und meinem neuen Grätzel hab ich mich gut eingelebt. Ich gehe wesentlich offener und unbefangener auf neue Leute zu und so hab ich mein neues Revier bereits nach einem Jahr erobert. Ich kenne die Leute auf der Straße, ich treffe ständig nette Menschen, mit denen ich Small Talk führe und es macht mir eine Riesenfreude, raus auf die Straße zu gehen.
Und wie es das Schicksal so will, hat mir das Leben auch eine neue Liebe geschickt….